Berlin/Belém. Fünf Wochen vor dem UN-Klimagipfel in Belém (COP30) zeigt eine neue Studie der deutschen NGO Urgewald das Ausmaß der Öl- und Gasexpansion in Lateinamerika und der Karibik und benennt die Banken sowie Investoren, die diese Expansion ermöglichen. Die Ergebnisse wurden gemeinsam mit Partnerorganisationen aus der Region in einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt: Arayara aus Brasilien, FARN aus Argentinien, Conexiones Climáticas aus Mexiko und Amazon Watch aus Peru.
Seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens wurden mehr als 930.000 km² für die Öl- und Gasförderung geöffnet – eine Fläche größer als Venezuela. Unternehmen investierten laut Urgewald 28 Milliarden US-Dollar in die Erschließung neuer Reserven. Zu den größten Akteuren zählen Pemex in Mexiko und Petrobras in Brasilien, wobei Petrobras für 29 Prozent aller neuen Ressourcen in Entwicklung in der Region verantwortlich ist. Ein Großteil der Projekte findet unter extremen Bedingungen statt: In Brasilien sind 93 Prozent der Projekte Tiefseebohrungen über 500 Meter Tiefe – mit hohem Unfallrisiko. Zudem sind über 8.800 km Pipelines geplant.
Die Studie identifiziert 297 Banken, die zwischen 2022 und 2024 rund 138,5 Milliarden US-Dollar an Unternehmen für neue fossile Projekte in Lateinamerika und der Karibik bereitgestellt haben. 92 Prozent dieser Mittel stammen aus dem Ausland.
An der Spitze steht die Banco Santander mit Sitz in Spanien (9,9 Mrd. US-Dollar), gefolgt von JPMorgan Chase (8,1 Mrd.), Citigroup (7,9 Mrd.), Scotiabank (7,2 Mrd.) und Bank of America (6,0 Mrd.). Die erste lateinamerikanische Bank ist Itaú Unibanco (Brasilien, Platz 15). Aus Deutschland ist die Deutsche Bank der viertgrößte europäische Finanzierer mit 3,4 Milliarden US-Dollar Krediten. Philipp Noack von Urgewald kommentiert: “Die Deutsche Bank profitiert auch auf Kosten der Amazonas-Ökosysteme, indem sie Geschäfte mit Fracking, Tiefsee-Bohrungen und Abholzung ermöglicht.”
Über 6.400 Investoren halten Aktien und Anleihen im Wert von insgesamt 425 Milliarden US-Dollar. Die größten drei stammen aus den USA: Vanguard (40,9 Mrd.), BlackRock (35,3 Mrd.) und Capital Group (16,8 Mrd.). Laut Studie stammen 96 Prozent der Investments aus dem Ausland.
Die Referenten betonten die direkten Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften, afroamerikanische Dörfer, Kleinbauern und handwerkliche Fischerei. Nicole Oliveira von Arayara erinnerte daran, dass der Amazonas zwischen 1985 und 2023 rund 55 Millionen Hektar Wald verloren habe und sich einem ökologischen Kipppunkt nähere. In Brasilien würden zehn Millionen Hektar für neue Öl- und Gasexplorationsblöcke geöffnet, was die Biodiversität und die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung bedrohe.
In Mexiko kritisierte Pablo Montaño von Conexiones Climáticas die Pläne zum Bau von drei Flüssigerdgas-Terminalen im Golf von Kalifornien, dem “Aquarium der Welt”. Diese Projekte bedrohen die Meeresbiodiversität, Wanderungsrouten von Walen und verursachen Emissionen vergleichbar mit denen von Schweden und Portugal zusammen. Die Hälfte des mexikanischen Fischfangs stammt aus dieser Region.
In Argentinien berichtete Ariel Slipak von FARN über die Expansion von Vaca Muerta, der zweitgrößten unkonventionellen Gasreserve weltweit. 2024 wurden 300 Bohrungen durchgeführt, mit Prognosen von über 1.000 pro Jahr. “Das Fracking in Vaca Muerta hat bereits über 600 induzierte Erdbeben und einen Verbrauch von 17 Milliarden Litern Süßwasser im Jahr 2023 verursacht,” sagte Slipak. Auch soziale Folgen wie Atemwegserkrankungen, Geschlechterungleichheit und versteckte Subventionen wurden erwähnt. Der Bau neuer Pipelines zur Atlantikküste Argentiniens, mit einem Kredit von zwei Milliarden US-Dollar unter Leitung von Itaú, JPMorgan und Citi, verschärft den Druck auf empfindliche Ökosysteme wie den Golf von San Matías und die Halbinsel Valdés.
Mary Mijares von Amazon Watch betonte die Bedeutung des Amazonas: Heimat von 400 indigenen Völkern und Lebensraum für ein Drittel aller Tierarten der Erde. Sie warnte, dass der ökologische Kipppunkt bereits bei 20 bis 25 Prozent Entwaldung erreicht werden könnte, deutlich früher als erwartet, und plädierte dafür, mindestens 80 Prozent des Bioms zu schützen.
Heffa Schücking, Direktorin von Urgewald und Hauptautorin des Berichts, sagte gegenüber amerika21: “Unser Ziel ist es, offenzulegen, welche Unternehmen, Finanzierer und Investoren hinter dem fossilen Aufschwung in Lateinamerika stehen. Nur wenn wir verstehen, welche Kräfte ihn antreiben, können wir ihn bekämpfen. Wir wollen, dass diese Analyse dazu beiträgt, dass Finanzierungsfragen einen zentralen Platz in den Verhandlungen auch auf der COP30 in Brasilien einnehmen.”
Die vollständige Studie auf Englisch sowie zwei interaktive Panels mit aktuellen Daten zu Projekten, Banken und Investoren sind auf der Website von Urgewald verfügbar.
Fonte: Amerika21
Foto: Reprodução / Amerika21